Einblick in die österreichische Unternehmenssanierung
Der unscharfe Begriff der Unternehmenssanierung wird auch in Österreich in den
- unformalen Bereich der außergerichtlichen und somit in weiten Teilen noch selbstbestimmten und
-geleiteten Prozess der Unternehmenssanierung und den - formalen, strengen Regularien unterliegenden Prozess der gerichtlichen Unternehmenssanierung
unterschieden.
Da in Österreich kaum Marktdaten über das Verhältnis zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Sanierung vorliegen, kann an dieser Stelle lediglich die allgemein gültige Einschätzung getroffen werden, dass je größer und/oder komplexer und prominenter der Sanierungsfall ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine außergerichtliche Sanierung angestoßen und auch erfolgreich umgesetzt wird.
Da unsere Beratungsleistungen überwiegend auf die außergerichtliche Unternehmenssanierung oder Verfahren mit Eigenverwaltung fokussiert sind, haben wir uns in den folgenden Ausführungen hierauf fokussiert.
Die außergerichtliche Unternehmenssanierung ist grundsätzlich möglich, solange keine zwingenden Insolvenzantragsgründe vorliegen und sollte daher rechtzeitig initiiert werden.
Die österreichische Insolvenzordnung beschreibt zwei (zwingende) Insolvenzeröffnungsgründe – die Situation der Zahlungsunfähigkeit nach § 66 IO sowie die Situation der Überschuldung nach § 67 IO (bei juristischen Personen und Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist). Nach Rechtssprechung des OGH i.S. § 66 IO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn ein Schuldner mangels bereitstehender Zahlungsmittel (liquide Mittel i.S. Bargeld, Buchgeld, offene Kreditlinien, etc. sowie kurzfristig verwertbares Vermögen i.S. kurzfristig veräußerbarer Wertpapiere, Edelmetalle, Wechsel, Schecks, etc.) nicht in der Lage ist, der Zahlung seiner fälligen (!) Schulden nachzukommen und er sich diese Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald beschaffen kann. Der Unterschied zwischen Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit (vgl. § 66 IO) ist in der Rechtsmeinung klar definiert (Erstellung eines schlüssigen, realistischen und nachvollziehbaren Finanzplans; sofern 95% der fälligen Verbindlichkeiten zu jenem Zeitpunkt bedient werden können, liegt bloße Zahlungsstockung vor; beachten Sie hierbei auch die Frist von 3 Monaten zur Beseitigung der Liquiditätsschwäche sowie Vorgehen bei drohender Zahlungsunfähigkeit i.S. einer Überschuldungsprüfung bzw. Fortbestehensprognose).
Bei Vorliegen eines der o.a. Gründe ist die Insolvenz nach § 69 IO ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber binnen 60 Tagen nach Eintritt der Voraussetzung zu beantragen. Ein Säumnis der Unternehmensleitung kann hierbei sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen einhergehen.
Üblicherweise wird die außergerichtliche Unternehmenssanierung gemeinsam mit den Fremdkapitalgebern oder auf deren Forderung durch das Unternehmen angestoßen. In weiterer Folge muss durch die Geschäftsführung eine Fortbestehensprognose erstellt werden. Bei der Erstellung oder für die Plausibilisierung derselben ist - meist ebenfalls auf Anstoß der Stakeholder – eine Beratungsgesellschaft involviert.
Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat einen Leitfaden, der sich als Standard für die Erstellung von Fortbestehensprognosen etabliert hat, veröffentlicht. Der diesbezügliche Inhalt bzw. Umfang der Fortbestehensprognose ist gegenüber dem deutschen IDW-Standard bescheidener. Zwingender Inhalt ist neben der Analyse des Unternehmensstatus und -umfelds mit Lagebeurteilung, die Darstellung der Sanierungsmaßnahmen und die Prognoserechnungen (Primärprognose über grundsätzlich 6 bis 12 Monaten sowie Sekundärprognose über grundsätzlich 2 bis 3 Jahre), wobei i.e.L. auf die Aufrechterhaltung der Zahlungs- und Lebensfähigkeit des Unternehmens abgestellt wird und für den Turnaround (definiert als „Wiedererlangung der Ertragskraft“) durchaus ein Zeitraum von 2 – 3 Jahren und in Einzelfällen auch länger vorgesehen ist. Besagter Leitfaden zur Fortbestehensprognose enthält eine Gliederungsempfehlung und Beispiele für den Aufbau der Unternehmensplanungen.
Bei der Beurteilung der positiven Primär- und Sekundärprognose kommt es darauf an, ob der Eintritt überwiegend wahrscheinlich ist (Wahrscheinlichkeit > 50 %) und zwar aus der Sichtweise eines ordentlich handelnden Kaufmanns zum Zeitpunkt der Erstellung der Fortbestehensprognose (ex-ante-Betrachtung). Zur Vermeidung von Diskussionen zu einem späteren Zeitpunkt sind genaue Begründungen und Dokumentation der getroffenen Annahmen und Aufsatzpunkte notwendig.
Durch die gerichtliche Unternehmenssanierung wurde in Österreich mit dem Unternehmensreorganisationsgesetzt (URG) die Möglichkeit geschaffen, es nicht insolventen Unternehmen zu ermöglichen, eine gerichtliche Reorganisation einzuleiten. Angesichts der gerichtlichen Aufsicht, welche die Beteiligten das Verfahren scheuen lässt, wird es de facto nicht in Anspruch genommen („Totes Recht“).
Im österreichischen Insolvenzrecht werden die Sanierungsverfahren in „mit Eigenverwaltung“ (vgl. §§ 169 ff IO) oder „ohne Eigenverwaltung“ (vgl. §§ 166 ff IO) sowie in das „Konkursverfahren“ (vgl. §§ 180 f IO) unterschieden. Ein Verfahren in Eigenverwaltung bedingt eine Mindestquote von 30% zur Befriedigung der Gläubiger, eines ohne Eigenverwaltung eine Mindestquote von 20%, welche jeweils innerhalb eines Zeitraums von bis zu 2 Jahren zu zahlen ist (vgl. § 141 IO).
Am 20.06.2019 erließ das Europäische Parlament und der Rat die „Richtlinie über einen präventiven Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“. Dabei wurde die Umsetzungsfrist (und damit die Umsetzung in nationales Recht) für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bis 17.07.2021 festgelegt. In Deutschland trat hierzu per 01.01.2021 das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) in Kraft. In Österreich ist die Umsetzung zum Zeitpunkt der Erstellung des vorliegenden ACTUM-Artikels noch in Ausarbeitung.
Fazit
Die Erfahrung von ACTUM hat über die Jahre gezeigt, dass trotz oder gerade aufgrund diverser Änderungen im Insolvenzrecht ein gerichtliches Verfahren mit hohen Unsicherheiten und insbesondere durch den Fokus auf Formalismus sehr niedrigem Flexibilitätsgrad behaftet ist.
Die außergerichtliche Sanierung hingegen ist in den meisten Fällen – sofern insbesondere ein funktionierendes Stakeholder Management aufgebaut werden kann und die Sanierbarkeit des Unternehmens gegeben sind – zu bevorzugen und für alle Beteiligten erfolgsversprechender.
[Mag. Andreas Gaisbauer]
Quellen:
Insolvenzordnung: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10001736
Leitfaden zur Erstellung einer FBP: https://news.wko.at/news/oesterreich/Fortbestehensprognose2016.pdf
Unternehmensreorganisationsgesetz (URG): https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10003479
ACTUM-Artikel zur „Richtlinie über einen präventiven Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“: https://www.actum-group.com/de/newsreader/praeventiver-restrukturierungsrahmen-richtlinie-eu-2019-1023.html
ACTUM- Artikel zum Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG): https://www.actum-group.com/de/newsreader/das-unternehmensstabilisierungs-und-restrukturierungsgesetz-starug-ab-01-01-2021.html