Der Weg zum präventiven Restrukturierungsrahmen
„Krise ist ein produktiver Zustand. Mann muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ (Max Frisch, 1911 – 1991)
Am 20.06.2019 erließ das Europäische Parlament und der Rat die „Richtlinie über einen präventiven Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren“. Dabei wurde die Umsetzungsfrist (und damit die Umsetzung in nationales Recht) für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bis 17.07.2021 festgelegt.
Am 19.09.2020 wurde in Deutschland der lang erwartete Referentenentwurf bzw. am 14.10.2020 der Gesetzentwurf (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz „SanInsFoG“; Artikel 1 zum Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz „StaRUG“) veröffentlicht.
URG, ESUG und Scheme of Arrangement
Die Regelungen außergerichtlicher/vorinsolvenzlicher Sanierungen sind in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (in nationalen Gesetzen) geregelt und dementsprechend unterschiedlichster Art (Auswirkung: Insolvenztourismus unter Berücksichtigung/Prüfung des „Center Of Main Interest“; siehe dazu auch Verordnung (EU) 2015/848). In Österreich wurde 1997 das Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) verabschiedet, womit ein Schritt in Richtung vorinsolvenzliche Maßnahmen geregelt werden sollte. In dessen wurde allerdings eine gerichtliche Aufsicht vorgesehen, welche die Beteiligten das Verfahren scheuen lässt und es daher de facto nicht in Anspruch genommen wird („Totes Recht“). In Deutschland ist am 01.03.2012 das ESUG und damit das Schutzschirmverfahren in Kraft getreten. Doch bereits anderthalb Jahre nach der Einführung haben sich Stimmen gemehrt, welche die Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens einfordern (Schnelligkeit und auch Vertraulichkeit werden kritisiert). In England steht bereits ein Instrument zur Restrukturierung und Schuldenbereinigung zur Verfügung – das Scheme of Arrangement (Vereinbarung zwischen dem Unternehmen, seinen Gläubigern und den Gesellschaftern mit Abschaffung von Einstimmigkeitserfordernissen). Die Europäische Union möchte nun mithilfe eines präventiven Restrukturierungsrahmens die unterschiedlichen Systeme harmonisieren, um eine funktionierende Kapitalmarktunion zu bewahren und dadurch in weiterer Folge das Level an notleidenden Krediten (und damit Banken, Volkswirtschaften und Mitarbeiter vor Arbeitsplatzverlust schützen) und Restrukturierungskosten senken bzw. Transparenz, Rechtssicherheit und Berechenbarkeit erhöhen.
Ausgewählte Aspekte der Richtlinie (EU) 2019/1023
- Frühwarnsystem und Bereitstellung von Checklisten: Um KMU’s zu helfen, sollten umfassende Checklisten für Restrukturierungspläne, die an die Bedürfnisse und Besonderheiten angepasst sind, auf nationaler Ebene entwickelt und online bereitgestellt werden. Zu Frühwarnsystemen sollten klare, aktuelle, prägnante und nutzerfreundliche Informationen vorgesehen und online zur Verfügung gestellt werden (bspw. in Form von Warnmechanismen, wenn der Schuldner bestimmte Arten von Zahlungen, wie Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, nicht getätigt hat). Je nach Größe des Unternehmens sollten diese angepasst werden und spezifische Bestimmungen für große Unternehmen und Gruppen festgelegt werden können. Diese Informationen sollten auch den Arbeitnehmervertretern zugänglich gemacht werden.
- Restrukturierungsrahmen: Es sollte, auf Antrag des Schuldners, ein Rahmen zur Verfügung stehen, der es Schuldnern ermöglicht ,ihre finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig anzugehen, wenn eine Insolvenz abgewendet werden oder die Bestandsfähigkeit (Voraussetzung gilt als Kann-Vorschrift) gesichert werden kann (heißt: bevor ein Schuldner nach nationalem Recht insolvent wird); Stichwort „likelihood of insolvency“. Zudem können Mitgliedsstaaten den Anwendungsbereich auf Fälle erstrecken, wenn ein Schuldner gegenwärtig oder in Zukunft seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht begleichen kann – Stichwort: (drohende) ZU. Ziel ist die Abwendung einer Insolvenz und die Sicherstellung der Bestandsfähigkeit, wodurch Arbeitsplätze geschützt werden und die Geschäftstätigkeit weitergeführt wird.
- Restrukturierungsbeauftragter: Zur Überwachung oder zur teilweisen Übernahme der Kontrolle über das operative Tagesgeschäft soll nicht zwingend erforderlich sein, sondern im Einzelfall entschieden werden können (Restrukturierungsrahmen unter Eigenverwaltung!). Mitgliedsstaaten können bestimmte Umstände bestimmen, bei denen ein solcher eingesetzt werden muss (bspw. bei einer allgemeinen Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen oder im Wege eines klassenübergreifenden Cram-Downs oder wenn Arbeitnehmerrechte berührt werden). Aufgaben können eine Unterstützung bei der Ausarbeitung oder Aushandlung eines Restrukturierungsplans, Überwachung der Tätigkeit und/oder Übernahme der teilweisen Kontrolle der Geschäfte/Vermögenswerte sein.
- Aussetzung Einzelvollstreckungsmaßnahmen/Exekutionssperre: Vorübergehendes Ruhen des Rechts eines Gläubigers, um die Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan zu unterstützen, damit der Betrieb fortgesetzt oder zumindest ein Teil des Vermögens erhalten werden kann. Eine solche Aussetzung kann alle Gläubiger(-klassen/gruppen) oder einzelne Gläubiger(-klassen/gruppen) umfassen. Der Höchstzeitraum wird mit bis zu 4 Monaten oder nach Bestätigung der Verlängerung durch die Justiz mit bis maximal 12 Monaten definiert. Damit wird auch die Verpflichtung zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens (oder Eröffnung durch Gläubigerantrag; Insolvenzsperre), das zur Liquidation führen könnte, ausgesetzt, wobei bei unangemessener Beeinträchtigung eines oder mehreren Gläubigern(-klassen) die Mitgliedsstaaten die Aussetzung aufheben können.
- Klassenbildung und Annahme eines Restrukturierungsplans: Die betroffenen Gläubiger (und Arbeitnehmer, welche während der gesamten Dauer den vollen arbeitsrechtlichen Schutz genießen sollen, und ggf. Anteilsinhaber) sollten das Recht haben, über die Annahme abzustimmen. Dabei sollte die erforderliche Mehrheit auf dem Betrag der Forderung bzw. der Beteiligung (Anteilsinhaber) in jeder Klasse beruhen. Die Mitgliedsstaaten können zudem vorschreiben, dass bezogen auf die Anzahl in jeder Klasse, eine Mehrheut erreicht werden muss. Verwaltungsbehörden sollen einen Plan zurückweisen können, wenn dieser die Rechte ablehnender Gläubiger so stark mindert, dass sie entweder weniger erhalten würden, als sie nach vernünftigem Ermessen im Falle einer Liquidation erwarten könnten, oder weniger als sie im Falle des nächstbesten Alternativszenarios erwarten könnten. Gläubiger sollen in unterschiedlichen Klassen behandelt werden, die den Kriterien nach nationalem Recht entsprechen (in Österreich nicht state of the art). Dies bedeutet die Gruppierung der Gläubiger mit dem Zweck, dass ihre Rechte und der Rang bzw. Beteiligungen zum Tragen kommen – zumindest gesicherte und ungesicherte Gläubiger sollten stets in unterschiedlichen Klassen behandelt werden. Wenn eine Mehrheit nicht unterstützt, und er zumindest von einer der betroffenen Klassen unterstützt wird, kann ein klassenübergreifender Cram-Down seitens der Verwaltungsbehörde genehmigt werden können. Damit der Plan im Falle eines klassenübergreifenden Cram-Downs bestätigt wird, sollte er von einer Mehrheit der Abstimmungsklassen unterstützt werden. Mindestens eine dieser Klassen sollte eine Klasse gesicherter Gläubiger sein. In Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie wird definiert, dass ein Restrukturierungsplan, der nicht in jeder Abstimmungklasse von den betroffenen Parteien angenommen wird, auf Vorschlag eines Schuldners oder mit Zustimmung dessen von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt und für ablehnende Abstimmungsklassen verbindlich werden kann, sofern der Plan Mindesterfordernisse aufweist.
- „Fresh money“/Zwischenfinanzierung: Die Mitgliedsstaaten stellen sicher, dass neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen in angemessener Weise geschützt werden. Zumindest im Falle einer späteren Insolvenz des Schuldners (Stichwort: Anfechtung).
- Erleichterung der Entschuldung für Unternehmer: Negative Auswirkungen von Überschuldung oder Insolvenz sollen verringert werden, dass eine volle Entschuldung nach Ablauf einer bestimmten Frist ermöglicht und die zusammenhängenden Tätigkeitsverbote begrenzt werden (lt. Richtlinie höchstens 3 Jahre; „zweite Chance“; vollständige Entschuldung). Die Richtlinie zieht nicht auf Vorschriften über die Überschuldung von Verbrauchern ab, aber es wäre den Mitgliedsstaaten zu empfehlen, so früh wie möglich die Bestimmungen der Richtlinie auch auf Verbraucher anzuwenden.
- Die Einrichtung von Fachgerichten oder -kammern oder die Ernennung von Fachrichtern sowie die Bündelung der Zuständigkeit bei einer begrenzten Anzahl von Justiz- oder Verwaltungsbehörden würden effiziente Mittel zur Erreichung der Ziele der Rechtssicherheit und der Effizienz der Verfahren erhöhen.
Ausgewählte Aspekte zum Gesetzentwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG)
- Hinsichtlich der Frühwarnsysteme bzw. der Krisenfrüherkennung verweist der Gesetzentwurf lediglich auf die Internetseite des Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz – eine Ausgestaltung scheint noch in Ausarbeitung.
- Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf für Unternehmen in drohender Zahlungsunfähigkeit zugänglich.
- Der Beginn des Prozesses wird dem Gericht lediglich angezeigt (inkl. Restrukturierungsplan, Darstellung des Stands der Verhandlungen und Darstellung der Vorkehrungen zur Erfüllung seiner Pflichten durch das StaRUG), es soll lt. Gesetzentwurf auf komplexe Anträge verzichtet werden können.
- Auf Basis eines Restrukturierungsplans können sich Unternehmen unter Zustimmung einer ¾-Mehrheit in den Gruppen (reine Summenmehrheit) der einbezogenen Gläubiger sanieren. Wenn in einer Gruppe die Mehrheitserfordernis nicht erreicht wird, gilt der Plan dennoch als angenommen, wenn die Mitglieder durch den Plan nicht schlechter gestellt werden als voraussichtlich ohne Plan, die Mitglieder dieser Gruppe angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden und die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt hat.
- Der Restrukturierungsplan besteht aus 2 Teilen, dem darstellenden (Grundlagen und Auswirkungen des Plans, Krisenursachen, Aussagen zur Bewältigung der Krise bzw. Restrukturierungsmaßnahmen, Vergleichsrechnung zu den Betriedigungsaussichten, Kriterien zur Auswahl der Planbetroffenen, etc.) und dem gestaltenden (Festlegung der Veränderungen der Rechtsstellung bei Forderungen, Absonderungen, Drittrechten, vertraglichen Nebenbestimmungen, Kapitalherabsetzung und -erhöhung, Leistung von Sacheinlagen, etc.) Teil (vgl. auch Insolvenzplan gemäß §§ 217 ff. InsO).
- Nahezu alle Gläubiger des Unternehmens können in den Restrukturierungsplan miteinbezogen werden (Forderungen auch wenn sie bedingt oder noch nicht fällig sind; Ausnahmen werden bspw. für Arbeitnehmer und Zusagen auf betriebliche Altersversorgung in § 99 StaRUG erfasst). Dennoch bietet StaRUG die Möglichkeit nicht zwingend alle Forderungen einzubeziehen.
- Die Gruppen können nach Maßgabe wirtschaftlicher Interessen unterteilt werden, wobei diese sachgerecht voneinander abgegrenzt werden müssen. Der Gesetzentwurf sieht eine Unterscheidung zwischen Inhabern von Absonderungsanwartschaften, einfachen Restrukturierungsgläubigern (Forderungen, die im Zuge von Insolvenzverfahren als nicht nachrangige Insolvenzforderungen geltend zu machen wären; inkl. Zinsen und Säumniszuschläge), nachrangigen Restrukturierungsgläubigern (Forderungen, die im Falle eines Insolvenzverfahrens als nachrangige Forderungen anzumelden wären) und Inhabern von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten.
- Der Restrukturierungsplan soll eigenständig verhandelt werden können und ergo nur in Ausnahmefällen eine gerichtliche Planabstimmung erfolgen.
- Das Planangebot hat den deutlichen Hinweis zu enthalten, dass der Plan im Falle einer mehrheitlichen Annahme und gerichtlichen Bestätigung auch ggü. Planbetroffenen wirksam wird, die das Angebot nicht annehmen. Aus dem Planangebot muss neben dem Restrukturierungsplan hervorgehen, mit welchen Forderungen oder Rechten die Planbetroffenen in den Plan miteinbezogen wurden, in welche Gruppe die Betroffenen zugeordnet wurden und welche Stimmrechte diese haben.
- Ein Restrukturierungsbeauftragter (§§ 80 ff. StaRUG) soll nur in Ausnahmefällen benötigt werden. Dabei ist nach § 81 StaRUG ein für den Einzelfall geeigneter erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonst. natürliche Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bestellen. Die Aufgaben umfassen u.a. die Unterstützung bei der Ausarbeitung und der Aushandlung des Restrukturierungskonzepts sowie des auf ihm basierenden Plans.
- Für eine vorgelagerte Sanierungsmoderation, die helfen soll eine einvernehmliche Lösung (für wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten) zu finden, soll ein gerichtlich bestellter Sanierungsmoderator für max. 3 Monate (plus Verlängerungsmöglichkeiten nach § 101 StaRUG) eingesetzt werden können.
- Der Gesetzentwurf sieht u.a. Instrumente zur gerichtlichen Planabstimmung, Vorprüfung und Bestätigung des Restrukturierungsplans durch das Gericht, gerichtlichen Beendigung von gegenseitigen Verträgen und Schutz des Unternehmens vor Vollstreckungen während des Verfahrens vor.
Abschließend kann die (finale) Umsetzung in den Mitgliedstaaten (auch in Österreich) also mit Neugier erwartet werden, denn diese wird über Erfolg oder Misserfolg eines präventiven Verfahrens (Stichwort: URG) entscheiden.
Weitere Informationen finden Sie im Artikel „Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung" Ausgabe 1/2019 mit dem Titel „Präventiver Restrukturierungsrahmen ante portas“ (Exler/Pitschuch/Situm), Online abrufbar unter https://doi.org/10.37307/j.1868-7784.2019.01.04
Die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 finden Sie online unter http://data.europa.eu/eli/dir/2019/1023/oj
Den Entwurf zum StaRUG finden Sie online unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_SanInsFoG.pdf;jsessionid=3E4EBE09B9B1C38E1AB99A425C998AEC.1_cid334?__blob=publicationFile&v=3
[Simon Pitschuch, MA]